Revueltas, Silvestre – "Musikalische Landschaften" Mexikos

Carsten
22. März 2010 um 16:46

22. März 2010 um 16:46
Revueltas, Silvestre – "Musikalische Landschaften" Mexikos
Am letzten Tag des 19. Jahrhunderts wurde Silvestre Revueltas im Norden Mexikos geboren. Bereits 1940 starb er in Mexiko-Stadt. Seine schaffensreichste Zeit fällt also in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Revueltas studierte zunächst Violine am nationalen Konservatorium, später auch in den USA, wo er Konzerttourneen unternahm. 1929 kehrte er endgültig in sein Heimatland zurück. Carlos Chávez machte ihn zu seinem Assistenten beim Orquesta Sinfónica de Mexico. Für dieses Orchester schrieb Revueltas Kompositionen, die die zuvor erblühte national-mexikanische Musik in großem Maße prägten. Revueltas bezeichnete viele seiner sinfonischen Werke als "musikalische Landschaften" mit Bezug auf Geschichte, Kunst, Literatur, Sozialreformen, Mythen usw. seines Heimatlandes.
Die letzte und wohl bekannteste dieser "Landschaften" ist das 1938 vollendete, ca. 7-minütige Sensemayá. Das Werk beruht auf einem kubanischen Gedicht, das wiederum afrikanische Ursprünge hat: Ein abgewiesener Zauberer verwandelt die Prinzessin Lucero in eine Schlange. Der Stamm macht Jagd auf die Schlange, der Zauberer tötet sie schließlich, verliert dabei aber selbst sein Leben. Lucero erhält dadurch ihre Seele wieder. Ähnlich wie in Strawinskys Sacre du printemps handelt es sich auch bei Sensemayá um die Vertonung archaischer Rituale. Auch wenn Revueltas' Werk nicht so komplex und raffiniert ist wie Strawinskys Opferballett, so entwickelt es in seiner hypnotischen Rhythmik und scharfkantigen Instrumentierung eine ähnlich kraftvolle Wucht. Nach Revueltas' Tod machte Leopold Stokowski das Werk in den USA berühmt. Auch Leonard Bernstein wurde später zu einem Verfechter der Musik Revueltas'. (Und Robert Rodriguez hat es für seinen Film Sin City verwendet... ;+) )
Viele Werke Revueltas' blieben unvollendet. Der mexikanische Komponist José Yves Limantour rekonstruierte einige von ihnen oder arrangierte sie neu. Revueltas hatte u.a. einige Filmmusiken komponiert, darunter La noche de los Mayas. Limantour nahm sich das Material und formte daraus eine viersätzige Suite für den Konzertsaal. Auch diese Suite hat stellenweise die Kraft, die Sensemayá innewohnt, zeigt Revueltas aber auch als begnadeten Komponisten mexikanischen Tanzes.
Auch die Arbeiten am Ballett La coronela waren von Revueltas nicht beendet worden. Er hinterließ lediglich eine Fassung der ersten drei Sätze für Klavier. Posthum wurde das Werk fertig gestellt, instrumentiert und 1940 uraufgeführt. Mehr als zwanzig Jahre später war aber auch diese Partitur nicht mehr vorhanden. Limantour bat den damaligen Dirigenten der Uraufführung um eine neue Instrumentierung und fügte aus Filmmusiken einen vierten Satz hinzu. Diese 1962 vorgestellte Version ist die bis heute einzig vorliegende und gespielte Fassung. Das Ballett beschäftigt sich in vier Bildern mit der revolutionären Bewegung in Mexiko und der Auflehnung gegen die Diktatur.

Eine Handvoll weitere Werke habe ich noch, nach den anderen fahnde ich weiterhin. Tipps und Anregungen sind wie immer willkommen!
LG
C.
23. März 2010 um 10:55
Hallo Carsten,
genau wie bei Carlos Chavez, Michael Ponce möchte ich auch für Silvestre Revueltas wieder auf die 8CD-Box (mit der ASV-CD-Übernahme) bei BRILLANT mit dem Dirigenten Enriquie Batiz verweisen.
Ich habe auch die von Dir abgebildete NAXOS-CD mit Sensemaya (1937), Die Nacht der Mayas (1939) ...
Das ist keine schlechte Aufnahme und wird von dem mexikanischen Orchester mit Hingabe musiziert .... nur an Batiz Interpretation und Orchesterqualität bei ASV/Brillant kommt diese Aufnahme nicht heran.
Geanu wie bei Chavez (mit der Sinfonia India) hat auch die tolle von Dir abgebildete Bernstein-SONY-CD Latein American Fiesta, die ich schon als CBS-LP hatte, bei mir (warscheinlich auch bei Dir), den ersten Begeiseterungseffekt für Revueltas ausgelöst - mit Sensemaya ! Die ganze CBS-Platte habe ich anfangs rauf und runter gehört und dann nach weiteren Werken aus diesem Umfeld gesucht - die ASV-CD´s mit Batiz waren dann später meine ersten "Fundstücke" in diese Richtung Musik.
Sensemaya (1937):
Die Anregung für dieses rhythmische Werk gab ein Gedicht des kubanischen Dichters Nicolas Guillen, das die rituellen Gesänge zum Thema hat, die beim Töten einer Schlange gesungen werden. Eine Wahnsinnsmusik hat Revueltas aus diesem Stoff gezaubert !
****Ich finde Bernsteins CBS-Aufnahme auch hier immer noch die Beste. Die New Yorker PH fetzen das Werk in 5:58 präzise und brillant - whow - ganz mein Geschmack, total meine Musikrichtung !
***Sehr gut und sogar noch flotter ist auch Gustavo Dudamel, den ich mit Sensemaya auf TV-Video habe. Ich glaube er ist sogar noch etwas schneller.
*Barrios auf NAXOS (gem.og. Abb). Für Sensemaya benötigt Barrios ungewöhnlich lange 6:53. da möchte man irgendwie immer anschieben; die Aufnahme stellt mich nicht zufrieden. Die Nächte der Mayas ist wesentlich besser auf der CD.
***Batiz auf ASV/Brillant (auf CD5) ist mit dem Orquesta Filharmonica de la ciudat de Mexico der umwerfend schnellste und haut Sensemaya überdreht mit 5:20 raus. Kurzer Hinweis. Batiz bedient sich auf den ASV Aufnahmen bei Brillant unterschiedlicher mexicanischer Orchester mit hörbar unterschiedlicher Qualität.
***Batiz (Naxos, März 1993, DDD) mit dem Festival Orchestra of Mexico ist da noch ein bischen deutlicher und qualitativ vom Orchester besser gespielt. Eine umwerfende Aufnahme in 5:42.
Die von Dir in deiner präzisen Beschreibung genannten 7Minuten sind für Sensemaya eindeutig zu lang.

Naxos, 1993, DDD
16. Mai 2010 um 21:23
In einigen Wochen wird's eine Neueinspielung von Revueltas' Sensemayá geben.
Gar nicht mal so unlogisch in der Zusammenstellung wird das Werk mit Strawinskys Sacre du Printemps gekoppelt (gut - eigentlich ist's umgekehrt).
Noch gibt's keine Hörschnipsel, aber ich bin mal gespannt, wie Dudamel diese beiden Werke angegangen ist.

Simon Bolivar Youth Orchestra Venezuela, Gustavo Dudamel
DGG, 2010
LG
C.
17. Mai 2010 um 10:26
RE: DG-Neuaufnahme mit Dudamel
Hallo Carsten,
ich habe Sensemaya mit Dudamel und dem Simon Bolivar SO of Venezuela ja in einer TV-Aufzeichnung auf Festplatte und DVD kopiert.
Du wirst auf seiner neuen, von Dir vorgestellten CD, sehen, wie genial und flott er SENSEMAYA runterfetzt (im positivsten Sinne). Solche Werke hat Dudamel voll im Blut !
Vielleicht ist meine Festplattenaufnahme (vom TV-Programm ARTE) die, die sich auf der neuen CD findet ? Dudamel optisch und akustisch zu genießen - eine feine Sache. Ich gehöre nicht zu denen, die an seinem etwas wilden Dirigierstil etwas auszusetzen haben - ich finds bei Dudamel immer mitreissend !
27. Oktober 2010 um 14:41
Und noch eine neue Einspielung ist auf dem Markt:
Die knapp 30-jährige mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra legt bei Sony eine Doppel-CD mit mexikanischen Komponisten vor, neben Revueltas u.a. Ponce, Ibarra und Lavista. Da ja diese Box kaum noch erhältlich ist, wäre die CD eine Anschaffung wert. Hat schon jemand Erfahrungen mit ihr?

LG
C.
12. Februar 2013 um 12:00
Beim nächtlichen herumstöbern im Forum (sehr empfehlenswert) habe ich diesen Faden entdeckt (ebenso den von Chavez) und durfte so mal wieder etwas dazulernen. Hatte von keinem der beiden bisher überhaupt irgendwas gehört, nicht mal den Namen. Den einzigen latainamerikanischen Komponisten der mir bisher geläufig war, ist Heitor Villa-Lobos und selbst da kenne ich nur ein Werk.
Ein paar kurze Stücke, darunter natürlich "Sensemayá" habe ich mir dann bei yt angehört. Es wurde ja hier schon geschrieben, dass das Musik ist, die folkloristiusch anklingt, es in musiktechnischer Hinsicht, aber nicht wirklich ist. Fiel mir dann auch auf.
In dem Stück "La Coronela" gab es da so eine ganz bestimmte Stelle, da dachte ich sofort : Ja, das ist Mexiko!, aber es war auch nur ein sehr kurzer Augenblick.
Wenn ich so die Eingangsbeiträge hier und bei Chavez lese, muss ich immer an Diego Rivera denken, der mit seiner Kunst ja ähnliches ausdrücken wollte wie die beiden Komponisten mit ihrer Musik.
12. Februar 2013 um 14:47
anhier leicht neben der Kappe: Villa-Lobos
Zitat
[...] Heitor Villa-Lobos und selbst da kenne ich nur ein Werk.
Dann wünsche ich Dir noch ganz viel Entdeckerfreude, Frau Succubus! (Habt Ihr einen Faden? Notfalls könnte ich auch selber schauen ...)
Villa-Lobos hat, was weiß ich, so rund 500 Nummern geschrieben, da sind bestimmt viele Doppelgänger und Mitläufer dabei. Mindestens 5 Prozent aber (wahrscheinlich deutlich mehr) sind richtig gut. Das kann ich besten Gewissens behaupten, weil ich mit Sicherheit 50 Nummern auf CD oder auf Kassette besitze und anderes irgendwann mal gehört habe.
Wolfgang
12. Februar 2013 um 16:53
Zitat von andréjo
Habt Ihr einen Faden?
Zwei bislang:
Villa-Lobos: Die Sinfonien
VILLA-LOBOS: Bachianas Brasileiras
5. März 2015 um 12:17
Salonen: Chance verpasst !
In der Brillant-Box mit lateinamerikanischen Orchesterwerken Musica Mexicana sind alle wichtigen Revueltas-Orchesterwerke mit dem fabelhaften Dirigenten Enriquie Batiz alle in sehr guten Int vertreten.
In der Annahme einige dieser TOP-Werke mit einem amerikanischen Spitzenorchester unter Salonen perfekt hören zu können, habe ich mir diese SONY- Hochpreis-CD (die jetzt mal günstig für paar Cent zu bekommen war) zugelegt:

SONY, 1998, DDD
Leider war der Kauf mehr eine Enttäuschung: Salonen buchstabiert die Werke belanglos ohne Emotion, ohne Gefühl und Spannung herunter. Bei bester, ja audiophiler Klangqualität hat er die Chance verspielt hier eine packende Aufnahme zu präsentieren. Welch ein Unterschied zu Batiz mit den Mexico SO (mehrere) und Barios auf Naxos (- CD´s in Beitrag 2).
- Sensemaya zieht sich langatmig (gut durchhörbar) in 7:04 hin - so ganz ohne die Extase, die Bernstein mit dem NewYorkern einzubringen wusste. Oder man höre die Feuerwerke von Batiz in seinen Aufnahmen auf Naxos (5:42) und ASV (5:20) mal dagegen an !
- Die Nächte der Mayas sind für den Ersthörer vielleicht sauber, aber hört man Batiz oder Barrios dageben im Vergleich, wird erst klar welch spannendes Werk mit packend Rhythmen das ist.
- Ventanas ist ein grosses Orchesterwerk - nie habe ich es so belanglos empfunden - ein Feuerwerk unter Batiz !
- Die Werke mit kleiner Besetzung sind von der LA Philharmonic Music Group sicher sauber "buchstabiert", aber total langweilige Musik ohne jeden Ansatz der auch nur irgendwelchen Hörspass einzubringen. Auch in der Brillant-Box weiss Batiz hier wenigsten noch ein etwas grösseres Interesse zu erwecken. Durch eines dieser recht eigenwilligen aber langatmigen Stücke (Redes-Suite) kam es zum Bruch mit Carlos Chavez und Revueltas verlies damals als Dirigent das Mexico SO.
Das einzige was an der CD gut ist, ist das sehr informative und gute Textheft der SONY-CD in deutsch !
Die CD wird nicht den Einzug in meine CD-Sammlung nehmen !
Kein Wunder, dass die CD jetzt fürn paar Cent zu haben war.
5. März 2015 um 12:24
Revueltas mit Enrique Batiz
Wenn es um Revueltas (und die weiteren Komponistenkollegen) geht, kann man sich Glücklich schätzen diese Brillant- 8CD-Box mit Enrique Batiz zu haben.
Die 8CD´s sind eine Brillant-Übernahme von ASV.
Leider derzeit nur für Mondpreise bei den Anbietern. Ich hatte diese Box noch für nen Zwanni bestellen können und daher auch den Kauf der Serie der ASV-CD´s (von denen ich schon 5 hatte) fortgesetzt.

Brillant, ASV-Aufnahmen, DDD
Von Revueltas finden sich folgende Orchesterwerke in sehr guten, packenden und feurigen Aufnahmen in der Brilli-Box:
Die Nacht der Mayas-Suite,
Sensemaya,
Redes- Suite (1938.),
Ocho por Radio (1933),
Caminos,
Musica para charlar Nr.1 und 2,
Ventanas,
Janitzio,
Toccata,
Cuauhnahuac (1930).
6. März 2015 um 10:02
Ich kenne und besitze fast alle hier erwähnten Einspielungen, darunter Batiz, Dudamel, Ben-Ghor, Bernstein und Salonen. Ich kann auch nicht nachempfinden, dass Salonen gestern hier recht schlecht weg gekommen ist, denn er hat mir den Weg fast zeitgleich mit Batiz zu diesem Komponisten geöffnet.
Batiz ist eine Wucht !! Ich bin froh, durch Zufall mal fast alle ASV-Aufnahmen günsitg gekauft zu haben, das Gleiche gilt für die Naxos-CD. Ich finde auch Dudamel hier absolut grandios, was er mir in den "Standard-Programmen nicht mehr ist. Bernstein hat sicher den Grundstein gelegt, ohne Zweifel.
Man sollte sich auch mal um den Dirigenten Eduardo Mata kümmern, der sich in diesem Bereich auch positiv hervor getan hat.